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Ein kleiner bebrillter Ömmes von Josef Reding

Eine Kurzgeschichte von Josef Reding

Die Kurzgeschichte "Ein kleiner bebrillter Ömmes", gefunden in "Wer betet für Judas?" von Josef Reding, dritte Auflage 1964, Paulus Verlag:

Ich stieß Atzel an. Und nach diesem harten Rempler kam der Mut ihm gleich aus dem Munde heraus: Dürfen wir mitfahren?, fragte er den Milchmann.

Der Milchmann trug einen dick gestrickten, kanariengelben Wollschal um den Hals. Ich sah nur diese grellen Farbtupfen. Vor Erregung schwitzte ich. Und meine Brille war beschlagen. Der Schal bewegte sich nicht. Ich dachte: Der Mann denkt nach, ob er uns mitnehmen soll. Ja, wünschte ich mir hart, denke ja!, Milchmann.

Da sagte der Milchmann: Na, du bebrillter Ömmes.

Ich erschrak und schämte mich. Sollte unsere Bitte scheitern, weil ich eine Brille auf der Nase trug? Solch ein Ding brachte einem den ganzen Tag eine Menge Kummer. Man hatte sich mit den anderen I-Männchen herumzuschlagen, die einen Vieräugler nannten oder Brillenschlange. Es gelang nur mühsam, wenigstens in der Klasse diese ehrenrührigen Worte zurückzudämmen, wenn auch zweimal die Brille bei den fürchterlichen Schlägereien splitterte. Sie pöbelten einen zwar nicht an, fragten aber die Mutter teilnahmsvoll, mit welchem Augenleiden ich denn geschlagen sei. Und Mutter sagte kurz angebunden: Er schielt. Ich hätte jedes Mal in den Boden versinken mögen. Er schielt! Das war bitterer als Silberblick oder: Wenn er weint, laufen ihm die Tränen über den Rücken, wie die älteren Jungen meiner Straße manchmal sagten, wenn sie von mir sprachen.

Dabei wusste ich selbst, dass ich wie eine kleine, verschreckte Eule ausschaute mit der Brille und meiner großen Nase, die derart kühn aus dem blassen Kindergesicht herausragte, dass man mich auch schon Indianer mit Brille geschimpft hatte. Seit der Zeit mochte ich keinen Indianerfilm mehr sehen, weder Die Schlachte am blauen Berge noch den Weißen Adler, die zum fünften Male durch die Kindervorstellungen gejagt wurden. Und nun kam der Milchmann mit einem funkelnagelneuen Ausdruck daher, der sicher in der Schule bald in Umlauf sein würde, wenn Atzel nicht dichthielt. Aber mit Atzel würde ich später sprechen. Um unsere Fahrt zu retten, sagte ich zum Milchmann: Bald brauche ich keine Brille mehr zu tragen. Der Augendoktor Meier-Riemsloh repariert mich nächstes Jahr!

Na, dann ist ja alles in Ordnung, lachte der Milchmann. Steigt auf den Bock! Habt ihr auch zu Hause gefragt?

Jaja! logen wir einstimmig.

Gut, sagte der Milchmann. Wir kletterten auf den Sitz. Der Milchmann verschloss den Wagen hinten und setzte sich neben uns. Er leierte die Bremsbacken von den Rädern und schnalzte. Das Pferd trottete voran.

Ist kalt! sagte der Milchmann und legte eine dunkelbraune Decke mit Ledersäumen über unsere drei Kniepaare. Die novembrige Welt sah schön aus, so von oben und so geborgen. Der Atem des gut genährten Pferdes flatterte zart über den glatten Rücken und die ausladende Hinterhand bis in die hohe Kutschbockhöhle, in der wir saßen. Stetig glitten die grasbewachsenen Grabenränder mit funkelndem Rauhreif zurück. Lotte! rief der Milchmann. Das Pferd trabte. Die silbernen Gräben beeilten sich.

Ich hätte jauchzen mögen, wäre nicht der Druck noch gewesen. Bebrillter Ömmes. Alles war so schön. Und dann: bebrillter Ömmes. Warum waren die Menschen so grausam?

Hinter uns klickten die Milchkannen leicht aneinander. Ruhig, ruhig, sagte der Milchmann. Und weil er einmal ins Sprechen geraten war, brummte er: Da soll ein Kannenhalter rein in den Wagen. Hab heute Morgen schon meinen Lehrling nach 'm Schreiner geschickt. Aber als ich abfahren musste, war er noch nicht wieder zurück. Obgleich ich meine Frau auch noch hingeschickt hab. Das ist genauso wie bei dem Gedicht: Der Herr, der schickt den Jockel aus, er soll den Roggen schneiden.

Atzel lachte. Ich sagte nichts. Ich grübelte. Hieß es nun Roggen oder Hafer? Es hieß Hafer. Ich wusste es. Ich hatte den Milchmann jetzt in der Hand. Ich konnte ihn vernichten. Wenn ich nun sagen würde: Das ist falsch! Es muss Hafer heißen! Nicht Roggen! - Jawohl, dann musste der Milchmann sich schämen, weil er so riesig groß war und noch nicht einmal ein Gedicht richtig hersagen konnte. Roggen! Pah! Aber bebrillter Ömmes, dabei vertat er sich nicht!

Schon wollte ich den Milchmann verbessern, als mir einfiel, dass den Mann dann die rote Wut packen könnte. Vielleicht scheuchte er uns vom Kutschbock und fitzte uns mit der Peitsche eins nach. War das Wort Hafer eine solche Schmach wert? Vor allem: der Milchmann würde sicher viele Male bebrillter Ömmes rufen in seinem Zorn. Immerzu bebrillter Ömmes. Und das würde noch schlimmer sein als mit der Peitschenspitze eins drüberzukriegen. Aber andererseits würde er wissen, dass er auch nicht infehlbar war. Dass er nicht größer war als ich.

Da sagte ich es. Ich sagte: Herr Milchmann, sehr höflich sagte ich das, Herr Milchmann, es muss heißen: Der Herr, der schickt den Jockel aus, er soll den Hafer schneiden. Hafer. Nicht Roggen.

Und ich hob die schwere Decke auf meinen Knien etwas an. Ich war zum Sprung bereit.

Das Gesicht des Milchmannes zerfloss wieder breit und breiig. Ich musste mich abermals an den Farbschrei an seinem Halse halten.

Donnerwetter! rief der schwere Mann. Donnerwetter noch mal! Du hast recht, mein Junge. Hafer muss es heißen. Sollte ich eigentlich wissen, wo ich das Zeug jeden Tag ein paarmal an die Lotte verfüttere. Gut, dass du mir das sagst! Vorwärts, Lotte!

Mein Junge, hatte der Milchmann gesagt. Ich drückte die Decke wieder fest gegen meinen Schoß. Das Verschwommene vor den Brillengläsern festigte sich. Fliegende Bäume waren zu erkennen, ein wenig Reif wehte flockig herunter. Ich schaute den Milchmann an. Er hatte ein gutes, rotes Gesicht mit einem grauen Schnurrbart.

Mein Junge! Die Welt war wieder im Lot.